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© Iván Bravo

Wandel als Chance: Was uns Mut macht

So viel Fortschritt und Veränderung gab es schon lange nicht mehr. Der Tourismus kann von diesem Wandel profitieren und sich neu positionieren. Ein Themenschwerpunkt voller Zuversicht

Wie Wandel gelingt

Die gesellschaftlichen Herausforderungen sind groß. Das erhöht auch den Veränderungsdruck in Unternehmen und Organisationen. Doch wie lässt sich Wandel erfolgreich gestalten?

Quick Wins

Fehlerkultur:
Wer Neues wagt, muss auch Fehler machen dürfen. In Sachen Fehlerkultur kann Deutschland noch viel dazulernen.

Ausprobieren:
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Ausprobieren ist das A und O bei jedem Transformationsprozess.

Dringlichkeit:
Das Gefühl von Dringlichkeit ist eine der Grundvoraussetzungen für gelingenden Wandel. Gegebenenfalls muss man ein wenig nachhelfen.

Eine Firma gönnt sich einen Zukunftsexperimentiertag. Spielerisch soll es dabei zugehen. Deshalb hat man einen Jongleur engagiert. Der soll zeigen, wie man mit kleinen Schritten einen sehr komplexen Vorgang erlernen kann. Mit drei Bällen gleichzeitig zu jonglieren, das bekommt auf Anhieb eigentlich niemand hin. Also zerlegt man das Ganze in kleine Einheiten. Erst zwei, dann drei Bälle, erst langsam, dann etwas schneller. Fehler zu machen, ist ausdrücklich erlaubt, und damit man auch etwas lernen kann, wird der ganze Vorgang gefilmt.

Irgendwann kommt der Geschäftsführer an die Reihe. Er stellt sich nicht viel besser an als seine Mitarbeitenden. Beim Versuch, mit drei Bällen zu jonglieren, fällt ihm alles aus der Hand. Nicht weiter schlimm, sollte man meinen, doch es ist ihm peinlich: Er möchte vor seinem Team nicht als derjenige dastehen, der selbst Fehler macht. Und verbietet fortan, dass er bei weiteren Versuchen gefilmt wird.

Ein Zeichen in die falsche Richtung

Susanne Nickel erzählt dieses Beispiel gerne. „Ein Zeichen in die völlig falsche Richtung“, sagt die Expertin für Change Management und innovatives Leadership. So, wie der Chef mit seinen Fehlern umgeht, so wird es letztlich auch die Belegschaft tun. 

Dabei spielt die Fehlerkultur bei der Innovationsfähigkeit von Unternehmen und Organisationen eine ganz entscheidende Rolle. Wer immerzu eins auf den Deckel bekommt, wird sich künftig kaum mehr weit aus dem Fenster lehnen. Wer auf neue Vorschläge nur Kopfschütteln erntet, wird irgendwann ganz auf sie verzichten. 

Portrait Schönhuber

Der Umgang mit Fehlern ist in Deutschland ein großes Problem und ein großer Hemmschuh

Christine Schönhuber, Geschäftsführerin der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW)

Sechs Jahre lang hat Christine Schönhuber, Geschäftsführerin der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) in den USA gearbeitet und dabei eine ganz andere Mentalität erlebt. „Just do it“, hieß es dort. Einfach machen und dann wird man schon sehen. Hierzulande jedoch versanden allzu viele Vorgänge in den Mühlen der Bürokratie, werden Arbeitskreise gebildet und allerlei Bedenken geäußert, bis dann am Ende gar nichts passiert.

Dabei ist der Veränderungsdruck groß. Klimakrise, Digitalisierung, Overtourism, Wachstumsgrenzen, internationale Konflikte, Fachkräftemangel und eine sich rasant verändernde Arbeitswelt sorgen überall für Herausforderungen. „Und man sieht bei der Automobilindustrie, wohin es führt, wenn nicht rechtzeitig gehandelt wird“, stellt der Hamburger Zukunftsforscher Oliver Leisse nüchtern fest.

Portrait Oliver Leisse

Uns fehlen die Visionen, wir stolpern in die Zukunft rein.

Oliver Leisse, Zukunftsforscher

Zu viele Change-Prozesse scheitern

Etwa zwei Drittel aller betrieblichen Veränderungsprozesse scheitern, schätzt Susanne Nickel. „Eine viel zu hohe und auch kostspielige Quote“, wie sie findet. Und eine überflüssige obendrein: Zumeist liegt es daran, dass Menschen nicht richtig mitgenommen und motiviert werden, dass die Hürden zu hoch erscheinen und schlicht der Sinn und Zweck nicht eingesehen wird.

Dabei konnte man ja beobachten, wie gut und schnell alles gehen kann. In Zeiten der Corona-Krise etwa, als in Nullkommanichts Homeoffice-Regelungen mitsamt der dafür notwendigen Infrastruktur auf die Beine gestellt wurden. Die positiven Auswirkungen halten bis heute an, mit Zugewinnen in der digitalen Kompetenz und flexiblen Arbeitsplatzgestaltung, die man bis dahin nicht für möglich gehalten hätte.

Ein Schlüssel des Erfolgs war dabei die Dringlichkeit der Maßnahmen. Es ging schlicht und einfach nicht mehr anders. „Dringlichkeit ist ein entscheidendes Prinzip bei jeder Veränderung“, sagt auch Susanne Nickel. Sie hält landauf, landab Vorträge zum Thema, gehört zu den gefragtesten Keynote-Speakerinnen in Deutschland und wird auch auf dem TMBW-Tourismustag sprechen. Ihre Botschaft an die Führungskräfte: Ist die Dringlichkeit nicht erkennbar, müsst ihr sie erzeugen. Sagt euren Leuten, was passiert, wenn nichts passiert!

Denn es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass durch beharrliche Ignoranz alles beim Alten bleibt.

Wenn du dich nicht wandelst, wandelt dich die Welt.

Carmen Hentschel, Geschäftsführerin der Agentur Future Shapers

Das sagt auch Carmen Hentschel, Geschäftsführerin der Agentur Future Shapers, unter deren Dach sich eine Vielzahl von Fachleuten zu einem Netzwerk zusammengeschlossen hat. Auch Oliver Leisse gehört dazu.

Beide beklagen sie die Blockadehaltung im Land und dass sich „Deutschland gefährlich in einer Komfortzone eingerichtet hat“, wie Leisse findet. Dabei habe, so sagt er weiter, das Land doch im Wirtschaftswunder bewiesen, zu was es imstande sei. Die derzeitigen Umwälzungen vergleicht er mit der Industriellen Revolution und wünscht sich die „Verspieltheit der Asiaten“, die eine viel größere Experimentierfreude als die Deutschen an den Tag legten.

Die Zukunft im Blick

The Future:Project ist ein Netzwerk von Zukunftsforschenden mit Sitz in Frankfurt. 15 Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen zählen dazu, die auch als Keynote-Speaker vermittelt werden. Zum Kreis der Fachleute gehören auch der renommierte Zukunftsforscher Matthias Horx, der 1998 das Zukunftsinstitut gründete, und sein Sohn Tristan, der sich ebenfalls als Trend- und Zukunftsforscher einen Namen gemacht hat. In der 2024 veröffentlichten Studie „Future:Transformation – Wandel erfolgreich gestalten“ erläutert „The Future:Project“ auf wissenschaftlicher Basis die wesentlichen Elemente eines grundlegenden Wandels, der über bloße Anpassungsmaßnahmen hinausgeht. Nach einem eher theoretischen Teil werden Anwendungs- und Umsetzungsbeispiele für die Praxis genannt. Die Studie kann für 160 Euro als PDF oder als Print-Ausgabe im Online-Shop erworben werden: thefutureproject.de

Future Shapers ist eine 2016 gegründete Agentur für Zukunftsexperten und -expertinnen mit Sitz in Köln. Geschäftsführerin Carmen Hentschel vermittelt rund 70 Keynote-Speakerinnen und -Speaker zum Thema Zukunftsgestaltung. Zu ihnen gehören auch der im Text erwähnte Oliver Leisse aus Hamburg sowie Henriette Frädrich, die den TMBW-Tourismustag 2025 moderiert. Carmen Hentschel ist auch selbst als Moderatorin und Keynote-Speakerin aktiv.
future-shapers.live

Psychologische Tricks können helfen

Es fehlt in Deutschland ganz offenbar die Leichtigkeit im Umgang mit Veränderungen. Alles wird zu schwer, zu groß und zu kompliziert gedacht. Deshalb rät Carmen Hentschel auch zu ein paar psychologischen Tricks. Wer immerzu Angst vor dem Verlust bewährter Dinge habe, der solle sich doch einfach sagen: „Ich füge dem Altbekannten nur ein paar neue Tools hinzu.“ Schritt für Schritt vorangehen, bis das ungewöhnlich Neue zur Routine wird und der Umgang mit dem dritten Jonglier-Ball nichts Außergewöhnliches mehr ist.

„Es ist alles eine Frage der Wiederholung“, sagt Hentschel. Die Wandelbereitschaft sei wie ein Muskel, den man trainieren könne. Wer oft genug vorangehe, werde irgendwann Spaß daran finden und die Veränderungen zum Teil seiner Identität machen. Innovation als Grundhaltung, die man fortan mit Leben und Inhalten füllt.

Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten beschäftigt sich mit Veränderungsprozessen. Eine der jüngsten kommt aus dem Kompetenznetzwerk „The Future:Project“, zu dem auch die bekannten Zukunftsforscher Matthias und Tristan Horx gehören. Überschrieben mit dem Titel „Wandel erfolgreich gestalten“ widmet sich die Studie auf rund 100 Seiten den Schritten, die einen erfolgreichen Veränderungsprozess ausmachen. 

Eine Haupterkenntnis ist dabei, dass es hierzulande an echten Transformationsprozessen fehlt. Es wird in hohem Maße reagiert, statt agiert, herumgedoktert, statt nachhaltig verändert, zu starr an bereits definierten Zielen festgehalten, die längst überholt sind. Wer einen echten und grundlegenden Wandel wolle, brauche jedoch offene Suchprozesse, deren Ergebnisse am Anfang oft noch überhaupt nicht abzusehen sind.

Kommt Zeit, kommt tatsächlich oft Rat

Dabei erhält die alte Redewendung „Kommt Zeit, kommt Rat“ eine ganz neue Bedeutung. Echte Transformationsprozesse verlaufen nach den Erkenntnissen von „The Future:Project“ nicht linear und nicht kurzfristig, leben von allerlei Verwerfungen und Irrtümern und einem intensiven Dialog der Beteiligten auf Augenhöhe. Die Ergebnisse dürfen dabei durchaus verblüffend sein und beruhen auf dem Glauben an die eigene Gestaltungskraft. Selbstwirksamkeit nennt man so etwas auch, man spürt, dass durch Eigeninitiative tatsächlich etwas bewegt werden kann.

Die Studie entwirft dabei ein Transformationsmodell in sieben Schritten. Es beginnt mit der Ent-Täuschung und dem Abschied von althergebrachten Gewohnheiten. Der nüchternen Erkenntnis, dass es so nicht mehr weitergehen kann, folgt eine Phase der Desorientierung, die man zulassen und aushalten muss. Unsicherheitskompetenz nennen das die Forschenden, die im nächsten Schritt den Kampf mit inneren Widerständen (Retardierung) folgen lassen. Der mündet in die kritische Prüfung (Revision), aus der dann allmählich der Entwurf einer neuen Zukunftsidee hervorgeht (Imagination). 

Spielräume zum Ausprobieren

Schließlich folgt das Wichtigste, die Exploration: In Phase sechs darf nach Herzenslust ausprobiert werden mit allen Fehler- und Frustrationsmomenten, die einen solchen Prozess ausmachen. Die muss das Unternehmen oder die Organisation dann natürlich auch zulassen und wohlwollend begleiten.

Portrait Susanne Nickel

In der Entwicklung von Neuem braucht es Spielräume, in denen man sich austoben kann.

Susanne Nickel, Change-Expertin

Einen solchen Spielraum eröffnet die TMBW bei ihrem „Team Innovation Day“. Christine Schönhuber hat ihn schon in ihrer Zeit als Marketingleiterin eingeführt und damit ausgesprochen gute Erfahrungen gemacht: „Jedes Team bekommt einen Tag geschenkt und darf der Fantasie freien Lauf lassen.“ Es ist erstaunlich, was dabei herauskommt, zuweilen überbieten sich die Teams am Ende mit neuen Vorschlägen.

„Wir brauchen solche Formate“, sagt die TMBW-Geschäftsführerin, die zuletzt die Tourismus Salzburg GmbH geleitet hat und dabei feststellen musste, wie unkompliziert die Österreicher sein können. „Die sind so stolz auf ihr Reiseland und ausgesprochen pragmatisch in der Umsetzung von Maßnahmen.“

Christine Schönhuber setzt auf den nationalen und internationalen Austausch, „weil das kreativ ist“.
Zusammen mit den Berlinern gehört sie beispielsweise dem Netzwerk
„Destinations International“ an, bei dem rund 100 Mitglieder aus aller Welt einen ausgesprochen offenen Umgang miteinander pflegen. „Das sind Leute, die wollen was bewegen“, sagt sie, „und das ist sehr inspirierend.“

Tatsächlich plädiert auch „The Future:Project“ für ein Globalisierungsverständnis, bei dem selbst lokal und regional Handelnde eine Vernetzung über die Grenzen des eigenen Landes hinaus suchen. Statt nur über die Auswirkungen einer globalisierten Welt zu jammern, sollte man besser ihre Möglichkeiten nutzen. Erfolgreicher Wandel bedeutet also, selbst Regie zu führen, statt nur die Vorgaben anderer abzuarbeiten: So kann man schließlich auch in Phase sieben des Transformationsprozesses erfolgreich sein, in der die eigene Wirksamkeit voll zur Geltung kommt und die Veränderung konkret Gestalt annimmt.

Wachstum allein bringt’s nicht mehr

Die Globalisierung ist letztlich nur einer der Treiber, die den Wandel bedingen. Auch die Klimakrise hinterlässt Spuren und zeigt einmal mehr, dass mit einer Wachstumsideologie allein die Probleme der Zukunft nicht mehr lösbar sind. Der Tourismus wird in Lebensräumen gedacht, die andere Antworten als nur das reine Destinationsmarketing erfordern. Neue Allianzen werden nötig und ein anderes Selbstverständnis, an das man sich erst einmal gewöhnen muss.

Das gilt auch für den Führungsstil in Unternehmen, der nicht mehr so autoritär wie in vergangenen Zeiten ausfallen darf.

Führungskräfte müssen emotionaler und empathischer werden, vor allem junge Menschen wollen sich verstanden fühlen. Sie wollen auch mitreden, so wie sie es aus ihren sozialen Netzwerken gewohnt sind.

Susanne Nickel

Ermutigt man junge Menschen hingegen, ist vieles möglich. Werden sie bestraft, sinkt die Quote entsprechend ab. Eine Kultur des Wohlwollens und der Zuversicht fordert Zukunftsforscherin Carmen Hentschel ein. Die führe letztlich dazu, dass sich Mitarbeitende mit ihrem Betrieb identifizieren und daran glauben, dass man den richtigen Weg schon finden wird. „Wer eng verbunden ist, wird sich auch entsprechend engagieren und an der Zukunftsgestaltung mitwirken“, sagt Hentschel.

Wandel ist weder gut noch schlecht

Erkenntnisse der „Positiven Psychologie“ können dabei helfen. Die bezeichnet sich selbst als Wissenschaft des gelingenden Lebens und setzt darauf, dass der Mensch seine Grundhaltung durchaus beeinflussen kann. Das Dankbarkeitsjournal, bei dem man am Ende eines vermeintlich schlechten Tages bewusst das Positive notiert, zeigt hier einen möglichen Weg auf.

„Wandel“, sagt Carmen Hentschel, „ist weder gut noch schlecht. Es kommt nur darauf an, wie wir ihn bewerten.“ Je mutiger und experimentierfreudiger man sich ihm stellt, desto größer die Chance, dass am Ende auch etwas Positives dabei herauskommt. Zum Beispiel, dass man schließlich fröhlich mit allen drei Bällen jongliert. Vor laufender Kamera, versteht sich.

Mehr Grundlagen für erfolgreichen Wandel

Im Tourismusnetzwerk Baden-Württemberg teilen Destinationsmanagerinnen und Anbieter aus dem ganzen Land ihr Wissen und stellen Informationen zur Verfügung. Von Tourismusschaffenden für Tourismusschaffende.

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