
Handlungsfeld 1
mehr erfahrenEin kühler Morgen in Ulm. Die Schwäbische Alb-Bahn fährt ein – ihr Ziel ist Münsingen. Schon bald ziehen draußen Felder, Heide und Wälder vorbei, die Landschaft des Biosphärengebiets. Nach einer guten Stunde ist die Kleinstadt im Herzen der Schwäbischen Alb erreicht. Und direkt beim Bahnhof steht auch gleich das Mobilitätszentrum Münsingen. Man spürt: Hier ist Mobilität mehr als Fortbewegung. Hier geht es auch darum, mit Ideen und Spaß Zukunft zu gestalten und vorzuleben.
In dem hellen Holzbau stehen E-Bikes in Reih und Glied. Zwei Fahrräder werden ausgeliehen, die Route zum Albgut ist im Bordcomputer gespeichert. Einmal durch die Stadt radeln, dann hinaus ins Grüne – und dabei erleben, wie ein ländlicher Raum Bewegung neu denkt.
Torsten Liebig vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg formuliert es nüchtern, aber klar: „Der Verkehrssektor hat seit 1990 keine Treibhausgas-Einsparungen erzielt. Und fast 40 Prozent der CO₂-Emissionen entstehen im Freizeitverkehr.“ Damit steht der Tourismus mitten in der Klimadebatte.

Wenn wir also in Urlaubsphasen nachhaltige Mobilität attraktiv machen, ist das mehr als Symbolik. Menschen brechen in dieser Zeit aus Routinen aus. Was sie dort neu erleben, nehmen sie in ihren Alltag mit.
Baden-Württemberg habe, so Liebig, ein dichtes Netz aus Bahnlinien, Busverbindungen und Ladepunkten geschaffen – doch entscheidend sei, dass die Angebote ineinandergreifen. „Im Idealfall reisen Gäste klimafreundlich an, steigen vor Ort aufs E-Bike um und erleben, dass das funktioniert – komfortabel, zuverlässig und total entspannt.“
Birgit Karl vom Schwäbische Alb Tourismusverband steht an einer Infotafel und zeigt auf das Logo der AlbCard. „Ab der ersten Übernachtung in teilnehmenden Betrieben fahren unsere Gäste kostenlos Bus und Bahn“, erklärt sie. „Und sie haben freien Eintritt in über 180 Sehenswürdigkeiten – von der Bärenhöhle bis zum Kloster Heiligkreuztal.“
Die Karte ist mehr als ein Ticket. Sie ist das Ergebnis jahrelanger Kooperationen zwischen sechs Verkehrsverbünden, Kommunen und Betrieben. „Das war ein langer Weg“, sagt Karl. „Aber heute profitieren alle: die Gäste, die Sehenswürdigkeiten – und der öffentliche Verkehr.“
Rund 56 Prozent der AlbCard-Nutzerinnen und -Nutzer steigen während ihres Aufenthalts auf Bus oder Bahn um.

Viele lassen ihr Auto einfach stehen. Und sie bleiben im Schnitt auch etwas länger. Nachhaltigkeit hat hier auch eine wirtschaftliche Seite.
Die Karte sei ein Modell, das sich erweitern lasse. „Wir denken über eine Heimatkarte für Einheimische oder eine Jobcard nach. Denn am Ende geht es um Mobilitätskultur – darum, wie wir uns gemeinsam bewegen.“
Wer in Münsingen unterwegs ist, merkt: Hier wird nicht bloß über Konzepte geredet, hier werden sie ausprobiert. Bürgermeister Mike Münzing spricht von einem „bunten Mobilitätsmix“: Denn in seiner Stadt gibt es Bahn, Bus, Mitfahrbänke, E-Carsharing, E-Bike-Routen und ein enges Netz an Ladesäulen – für Räder und auch für Autos.
„Unser Ansatz ist einfach“, sagt er. „Teilen statt trennen. Wir nutzen vorhandene Ressourcen – Fahrzeuge, Flächen, Energie – und machen daraus ein System, das für Bürger und Touristen funktioniert.“
Über 60 sogenannte Charge Cubes – modulare Ladestationen mit Photovoltaikdächern – stehen inzwischen zwischen Stuttgart und dem Bodensee. Sie speichern Sonnenstrom und machen E-Mobilität auch an abgelegenen Orten möglich. „Das war nur machbar, weil Verwaltung, Wirtschaft und Forschung zusammengearbeitet haben“, sagt Bürgermeister Mike Münzing.
Im Mobilitätszentrum können Gäste E-Bikes samt kleinem Navigations-Bordcomputer ausleihen. Eine freundliche Stimme führt durch die Landschaft, vorbei an Wacholderheiden und kleinen Hofläden.

So wird die Schwäbische Alb erfahrbar. Und es lohnt sich sogar wirtschaftlich – für die Betriebe, die Räder verleihen, und für die Region, die neue Gäste gewinnt.
Nachhaltige Mobilität, sagt Mike Münzing, beginnt mit Haltung. „Wir werden das Auto nicht ersetzen. Aber wir können Wege schaffen, die leiser und sauberer sind – und Menschen zusammenbringen.“
Er erinnert an das Mitfahrbänkle samt Richtungsschildern, die in Münsingen initiiert wurden, meist an Bushaltestellen. Wer dort sitzt, dreht den montierten Daumen nach oben und zeigt damit an: Ich suche eine Mitfahrgelegenheit. „Das ist wie Per-Anhalter-Fahren – aber in moderner Form“, sagt der Bürgermeister. „So entsteht Begegnung. Und Mobilität wird wieder sozial.“
Tourismus, betont er, verbessere in Münsingen auch die allgemeine Lebensqualität. „Buslinien, die für Gäste attraktiv sind, sichern Verbindungen, die sonst vielleicht aufgegeben würden. Wenn Infrastruktur geteilt wird, profitieren alle.“
Am Ende der kleinen E-Bike-Tour öffnet sich das Tor zum Albgut. Alte Kasernen, rote Backsteinfassaden, Kopfsteinpflaster, eine parkähnliche Landschaft und – Stille. Keine Autos fahren, man hört nur das Surren der eigenen Fahrräder.
Franz Tress, Unternehmer und Visionär, führt durch das Gelände.

Über 140 Gebäude aus der Zeit des Königreichs Württemberg stehen hier. Wir haben sie erhalten und führen sie in eine neue, touristische Nutzung über – nachhaltig, behutsam und mit viel Respekt vor dem Ort.
Das Albgut mit seinen Übernachtungsmöglichkeiten, Seminar- und Festräumen sowie den Manufakturen ist autofrei. Besucher parken am Eingang, bewegen sich zu Fuß oder mit dem Rad durch das Gelände. E-Bikes können vor Ort geladen werden, der Strom stammt aus der eigenen Hackschnitzelanlage. „Wir heizen mit Holz und planen zusätzliche Solaranlagen“, erzählt Tress. „Nachhaltigkeit heißt, konsequent zu denken – von der Energie bis zum Baustoff.“
Auch architektonisch zieht sich dieses Prinzip durch. In den Gästezimmern sind Eichendielen verlegt, die Möbel sind aus Naturholz gefertigt. „Wir wollten keine Inszenierung, sondern Ehrlichkeit“, sagt Tress. „Was hier entsteht, ist gelebte Nachhaltigkeit – und sie macht den Ort lebendig und fit für die Zukunft.“
Das Albgut ist damit ein Paradebeispiel für nachhaltige Infrastruktur: historische Gebäude werden erhalten, neu genutzt und so langfristig instand gehalten – ein Konzept, das Denkmalschutz, regionale Wertschöpfung und Klimaschutz auf vorbildliche Weise verbindet.
Zurück am Bahnhof Münsingen. Hier fährt langsam die Schwäbische Alb-Bahn ein, die diese Strecke seit gut 15 Jahren wiederbelebt – und das sehr erfolgreich. Auf den Bahnsteigen stehen Wandernde, Radfahrende, Kinder mit Rucksäcken. Es ist ein Bild, das zeigt, was Wandel bedeuten kann: Mobilität als Teil eines größeren Ganzen.

Torsten Liebig hatte es im Gespräch so formuliert: „Touristische Akteurinnen und Akteure können eine enorme Rolle spielen, Menschen zu zeigen, wie attraktiv klimafreundliche Mobilität ist. Gäste merken dann: Wenn ich 30 Minuten mit dem Rad unterwegs bin, habe ich mein tägliches Sportpensum schon erledigt. Und wenn ich mit dem Zug statt mit dem Auto fahre, dann habe ich weniger Stress und kann unterwegs sogar noch was lesen.“
In Münsingen ist eine solche klimafreundliche Mobilität für viele Menschen schon Alltag. Forschung, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft arbeiten Hand in Hand. Und aus Infrastruktur entsteht eine neue Kultur – eine, die verbindet.